EINGEPFERCHT.

Ohne Aussicht auf Besserung

 

 Eine Kurzgeschichte
von Patrick Klapetz

 

Eingepfercht auf wenigen Metern liege ich am Boden. Die Breite umfasst nicht einmal die halbe Länge meines Körpers. Lang ist mein Gefängnis auch nicht gerade. Es ist kürzer als ich lang bin. Nicht viel, aber ich kann nicht komplett ausgebreitet hier liegen. Die genauen Maße kann ich jedoch nicht sagen. Maße. Selbst das Wort ist mir fremd. Ich kenne nichts anderes. Ich war schon immer hier. Hinstellen, das könnte ich von der Höhe. Daran solle es nicht liegen. Doch hinstellen kann ich mich nicht. Meine Knochen sind viel zu schwach. Oder sind es meine Muskeln, die mich nicht halten wollen? Ich weiß es nicht. Eigentlich weiß ich nichts. Andere, wie die meinen, habe ich noch nicht gesehen. Erinnern kann ich mich. Nur sehr düster sind diese Gedankenfetzen. Fast so düster wie der Raum hier. Früher, als ich noch klein war, da war ich nicht alleine. Ich hatte eine Mutter. Wie sie aussah weis ich jedoch nicht mehr. Ob ich auch Geschwister hatte? Bestimmt. Ich weis es nur nicht. Das ich hier nicht alleine bin, das ist mir bewusst. Wenn es dunkel wird, also wenn die grellen Neonröhren erlischen, höre ich leise Stimmen. Sie flüstern. Manchmal versuche ich mit ihnen zu reden. Doch ich weis nicht wie. Ich habe es nie gelernt. Mir hat es nie jemand gezeigt. Oder ich habe es bereits vergessen. Verstehen tue ich ihre Stimmen aber. Sie fragen, ob dort noch andere sind. Es sind alles Frauen, wie ich es eine bin. Eingesperrt und dass schon ewig. Eigentlich seit dem ich denken kann.

 

Wenn das Licht angeht, dann kommen sie. Es sind Männer. Das nehme ich zumindest an. Sie sehen ganz anders aus. Sie reden nicht viel und wenn dann klingt es, als wollen sie mir weh tun. Manchmal schimpfen sie. Ich weis nicht warum. Ich habe ihnen doch nichts getan. Manchmal schlagen sie mich auch. Immer dann, wenn ich mich nicht schnell genug bewege. Wenn sie mir etwas zu essen bringen, dann muss ich etwas Platz machen. Platz machen, da wo kein Platz ist. Zumindest gibt es genug zu essen. Ich muss immer viel essen. Etwas anderes kann ich hier auch nicht machen.

 

Einmal, dann kam einer. Ich musste mich umdrehen. Dann bestieg er mich. Ich war gerade geschlechtsreif geworden. Er drang in mich ein. Ruckartig. Es dauerte nicht lange. Weh, dass tat es sehr. Eine Zeitlang kam er jeden Tag. An sein Gesicht kann ich mich nicht erinnern. Wenn er kam, dann musste ich mich umdrehen. Ansonsten wurde ich von jemand anderen geschlagen. So habe ich mich dann umgedreht, sobald ich die Tür aufgehen hörte. Es tat weh. Dafür habe ich mir die Schläge erspart.

 

Dann wurde ich schwanger. Ich bekam genug zu essen. Manchmal kam ein Mann in weiß worbei und steckte einen spitzen Gegenstand in mich. Dann nahm er mein Blut. Auch als meine Babys zu Welt kamen war er da. Er half mir sie auf die Welt zu bringen. Das einzige mal, dass ich aus diesem Verlies heraus kam. Die Schmerzen der Geburt waren jedoch so groß, dass ich mich nur noch an weiße Lichter erinnerte, die von oben hinunter strahlten. Ich bekamm Zwillinge. Doch man nahm mir meine Kinder direkt nach der Geburt weg. Mich steckte man wieder in meine Zelle. Ich schreite und heulte. Vor lauter Schwäche schlief ich ein. Dann hörte ich eine Tür und ein Weinen. Meine Kinder. Sie brachten sie mir. Sie weinten und schrien, doch ich war froh sie bei mir zu haben. Es waren zwei Mädchen. Ich nannte die kleinere mit der quickenden Stimme Ellie. Warum, dass weis ich nicht. Mir gefiel der Name. Die andere, mit der etwas dunkleren, aber sanften Stimme, nannte ich Magrit. Warum, dass wusste ich auch hier nicht. Der Name passte zu ihrer Stimme. Ich fütterte sie immer dann, wenn sie hungrig waren. Sie nahmen meine Brust und saugten fleißig. Magrit und Ellie wuchsen kräftig heran. Es war eine schöne Zeit. Doch dann kamen sie und nahmen mir meine Ellie weg. Ich schrie und weinte und wollte mich wehren. Kraft hatte ich jedoch keine. Sie schlugen mich. Aber das war nicht das Schlimmste. Viel schmerzhafter waren die Schreie von Ellie, als sie mir sie weg nahmen. Der Schmerz und die Angst in ihrem Schreien stach wie ein schweres Messer in meine Brust. Doch es kam noch schlimmer. Sie nahmen mir auch meine liebe Magrit. Sie war total verängstigt und wusste nicht was geschieht. Wo Ellie hin ist und was mit ihr geschehen wird. Sie stand unter Schock und ich weinte und schrie. Dann fing auch sie an zu schreien. Es war schrill und schellte in meinen Ohren. Ich war kraftlos und konnte nichts dagegen tun. Es ist meine Schuld.

 

Die Tage verstrichen und der Schmerz verging nicht. Ich konnte nicht essen, also schlugen sie mich. Irgendwann parrierte ich. Dann kam der Mann in weiß wieder. Diesmal mit einem langen und dünnen Stab. Er führte ihn in mein Geschlechtsorgan ein. Es tat weh und stach. Heute weiß ich, dass sie mich befruchtet haben. Die andere Variante war wohl nicht effektiv genug. Auch diesmal wurde ich schwanger und auch diesmal kam der Doktor und half mir bei der Geburt, bevor sie meine Kinder wieder nahmen. Es schmerzte wieder. Doch sie kamen und branchten mir meine Kinder wieder. Diesmal waren es ein Junge und ein Mädchen. Sollte ich ihnen Namen geben? Sie werden bestimmt wieder kommen und mir sie weg nehmen. Meinen Kindern ihre Mutter entziehen. Heute bereuhe ich es, dass ich es nicht tat. Doch ich liebte sie, wie eine Mutter ihre eigenen Kinder nur lieben konnte. Ich gab ihnen meine Brust. In der Zwischenzeit bekam ich immer mehr Nahrung und ich musste mehr und mehr essen. Ich wurde dicker und hatte noch weniger Platz um mich zu bewegen. Meine Knochen wurden brüchiger und meine wenigen Muskeln noch schlapper. Ein paar Tage nach dem mein Sohn sich von alleine fortbewegen konnte, gelang er hinter mich. Ich konnte mich nicht bewegen. Es war grausam. Diese Schreie. Diese Hilflosigkeit. Er steckte zwischen mir und der Wand fest. Er schreite und strampelte, doch ich konnte mich einfach nicht bewegen. Dann wurde es stumm. Ich spürte seinen Atem im Rücken. Irgendwann hörte er auf. Keine Geräusche. Kein warmer Atem mehr. Mein Sohn war tot. Ich habe ihn erdrückt. Es war meine Schuld. Und meine Tochter schaute mich mit hilflosen und ahnungslosen Augen an. Dann kamen sie wieder. Sie nahmen meine Tochter, zerrten sie an den Füßen heraus und ließen sie kopfüber baumelnd wegbringen. Sie drückten mich nach vorne um meinen Sohn zu holen. Ich konnte nicht hinsehen und schloss meine Augen. Die Schreie meiner Tochter wurden immer lauter. Doch ich bekam keinen Ton heraus. Es schmerzte.

 

Die Zeit verstrich und jetzt ist es so weit. Sie öffnen die Türen zu meinem Verlies und zerren mich hinaus. Ich kann mich kaum bewegen. Doch helfen tut mir niemand. Sie treten nur. In den Bauch. In den Rücken. Ich fange an zu kriechen. Es ist ein langer Gang. Ich sehe hier noch mehr Türen. Es sind Gittertüren wie die meinen es waren. Da hinter sehe ich sie liegen. Frauen, dicke, vor Fett überquillende Frauen wie ich es eine bin. Es sind viele Türen. Viele Türen mit Zellen in denen Frauen liegen. Tür an Tür. Zelle an Zelle. Frau an Frau ohne je sich zu sehen. Nur nachts hörten wir uns flüstern. Ich weis wohin sie mich bringen. Ich hörte die Geschichten. Ich werde in einen dunklen Raum gebracht. Doch ich werde nicht alleine sein, hörte ich. Danach wird die Luft eng. Ein Gas strömt aus und wir werden schlafen, aber nicht ohne Schreie. Woher ich das wissen will? Manche haben es überlebt. Sie sind wieder aufgewacht. Ihre Schreie konnte man weithinten in den daneben liegenden Zellen hören. Ihr Geflehe. Die pure Panik in ihren Stimmen. Das erzählen sich die alten Nacht für Nacht. Doch dann kehrt Stille ein, kurz nach dem ein Röcheln zu hören war.

 

Meine Tochter hieß Ellie. Sie nahmen sie mir weg. Margrit nahmen sie mir auch weg. Sie war mein zweites Kind. Ellies Schwester. Mein Sohn... Meinen Sohn hätte ich Thomas genannt. Ich erdrückte ihn. Seine Zwillingsschwester hätte ich wohl auf den Namen Beatrix getauft. Auch sie nahm man mir weg. Meinen Namen, den weis ich nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht gab meine Mutter mir aus dem selben Grund keinen Namen, aus dem ich Thomas und Beatrix keine Namen gab. Was ich hätte sein können? Eine freie Frau. Was ich für die bin? Ein Produkt. Pure Ware. Nichts weiter als eine Mastsau.

 

 


Der Autor versichert, dass alle seine Texte von ihm selbst verfasst wurden. Alle Rechte seines geistigen Eigentums unterliege dem Autor Patrick Klapetz.


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