Eine Kurzgeschichte
von Patrick Klapetz
Die dicke Müller von gegenüber parkt immer genau vor meiner Einfahrt. Natürlich genau so, dass ich nicht mehr heraus komme. Mal, ja okay. Kann passieren. Doch das ist jetzt schon das dritte Mal diese Woche. Und letzte Woche war es nicht besser. Jedes Mal muss man zu ihr rüber und dann braucht die auch noch so ewig. Jetzt streite ich mich schon mit Jessy, meiner Frau. Und das alles nur wegen der dicken Müller. Heute habe ich mir sogar extra frei genommen. Jessy ist noch arbeiten. Den Küchenzimmerstuhl habe ich ans Fenster gestellt. Das Licht ist aus. Die Rollladen sind halb runter. Der Kaffee dampft aus der Tasse. Auf dem Bürgersteig laufen Schulkinder nach Hause. Autos fahren vorbei. Da kommt sie, die Müller. Dieser Teufel mit seinem roten Fiat-Schrotthaufen. Viel zu klein für die dicke Frau. Sie wird langsamer. Sie rollt. Noch ein Stück und noch ein bisschen. Stopp. Genau vor meiner Einfahrt. Ich hasse die Frau. Die Fahrertür geht auf und die Müller versucht auszusteigen. Als würde man aus einem Sandsack klettern. Endlich, sie ist im Haus. Telefon raus und den Abschleppdienst gerufen. Heute Abend ist der Wagen weg. Mein erster Zug.
Am nächsten Morgen klingelt es um sechs Uhr. Ich habe doch noch eine Stunde. Total verschlafen watschele ich zur Haustür. Die Müller: „Was fällt ihnen ein? Ich weiß ganz genau, dass sie das waren.“ Ich stell mich dumm. „Das wird noch Konsequenzen haben, Herr Becker. Warten sie…“, da knall ich ihr die Türe vor der Nase zu und lasse nur ein genervtes „Ja, ja“ über meine Lippen gleiten.
Nachmittags kommt Jenny ins Haus gestürmt. Sie ist aufgeregt und wütend. All unsere Blumen im Vorgarten wurden zertrampelt und heraus gezupft. Wir waren uns sicher, dass die Müller das war. „Andy, Tom. Kommt runter. Papa hat `nen neuen Fußball für euch“, ruft Jessy hoch. Da kommen unsere Jungs und meine Frau erklärt ihnen noch, dass das Tor auf der anderen Straßenseite ist und Tom Torwart sein soll. Worin er wahnsinnig miserabel ist. Es dauert nicht lange, da klirrt das Fenster. Schnaufend kommt ihr Mann, ein dürres, langes Klappergestell, heraus gestampft. Unsere Jungs rennen vor Angst weg. Der Müller schimpft und schreit herum. Dann verschwindet er wieder im Haus. Keine fünf Minuten später kommt er mit einem Baseballschläger heraus marschiert und schlägt auf unser Auto ein. Die Windschutzscheibe zersplittert noch bevor ich draußen bin. Wir fetzen uns. Da öffnet sich das Fenster im ersten Stock und ein lautes Peng schallt durch die Straße. Herr Müller sackt zu Boden. Meine Frau war dazu gezwungen mit meinem alten Jagdgewehr abzuziehen. Das Klappergestell ist tot.
Die Erde fängt an zu beben. Schreiend rast die Haustür der Müller auf. Mit einem kraftvollen Wurf fliegt eine Kugel aus der Hand der dicken Müller. Eine Handgranate. Ein lautes boom. In den Asphalt hat es ein Loch geschlagen. Ein Schuh liegt im Vorgarten. Im Gebüsch ein abgefetztes Bein. Auf dem Hausdach hängt ein abgesprengter Arm. Ich wurde in sämtliche Einzelteile zerlegt. Meine Frau rennt die Treppen hinunter und schnellt in den Garten. Die Rotorblätter des Hubschraubers fangen an zu drehen. Jessy schwebt über das Dach und drückt auf den Knopf am Joystick. RATTARATTARATTA. Maschinengewehrkugeln schlagen in den Boden ein. Die dicke Frau Müller liegt durchlöchert an der Hauswand. Da schlägt eine Rakete ins Cockpit ein. Marie, die Tochter der Müllers hat mit ihrer Handtaschen-Bazooka aus ihrem Kinderzimmer heraus geschossen. Der Helikopter stürzt auf die Straße. Das Kerosin verteilt sich am Boden. Dann macht es einen lauten Knall und die Kinderzimmerwand ist weg. Ein riesiges Loch ist in die Hausfassade gerissen. Mit einem Panzer haben Tom und Andy auf das Kinderzimmer von Marie geschossen. Trümmer fliegen auf die Straße. Die Tapeten und die Möbel im Zimmer fangen Feuer.
Da steigen beide Jungs aus und fangen an zu lachen. Sie albern, hüpfen und tanzen herum. Da bricht der Boden des Kinderzimmers ein. Andy konnte noch zur Seite springen, auf Toms Unterleib liegt ein dicker Brocken Stahlbeton. Er schreit und weint vor sich hin. Andy will ihm helfen, beachtet dabei aber nicht, was um ihn herum passiert. Aus dem Kinderzimmer rollt ein brennendes Schreibtischbein auf die Straße. Das Kerosin fängt an zu brennen und Andy hüpft Lichterloh zwischen dem abgestürzten Hubschrauber, dem Krater in der Straße und dem Panzer hin und her.
Als die Polizei, die Feuerwehr und der Krankenwagen eintreffen war es schon zu spät. Die abgefeuerte Rakete der beiden Jungs durchschlug auch die Rückwand des Hauses und flog weiter. Nur das örtliche Gaswerk konnte sie stoppen. Dabei entzündete sich das Gas und die, unter der gesamten Stadt verlaufenden Pipelines explodieren. Häuser, Straßen, ganze Wohnblöcke verschwinden im Erdboden. Die massiven und als sicher geltenden Decken des Salzsteinbergwerkes, das als nukleares Endlager fungiert, können die herabstürzenden Lasten nicht weiter tragen und brechen ein. Die unzähligen Plutoniumabfallfässer bekommen Risse. Ihre Deckel ploppen einfach auf und der hoch verstrahlte Abfall entströmt. Ein Teil sickert ins Grundwasser und Meer. Menschen und Tiere verenden, sie bekommen Buckel, drei neue Augen und sieben Finger im Gesicht. Ein anderer Teil der herauskullernden Plutoniumstäbe gelangt durch den aufgeplatzten unterirdischen Krater, der durch das ausströmende Schiefergas im Boden und die umherfliegenden Funken und die daraus resultierende Explosion entstanden ist, tiefer ins Erdreich, hin zum Erdkern. Bei der Zusammenkunft kommt es zu einer hochexplosiven Reaktion, die die Erde aus der Umlaufbahn, in Kollisionskurs mit den anderen Planeten unseres Sonnensystems, wirft. Es kommt zu einer Massenkollision, die alle Planeten aus ihrer Laufbahn wirft und auf die Sonne stürzen lässt. Diese gewinnt an unerwartete Masse und expandiert in andere Sonnensysteme. Das ganze Universum gerät unter Spannung und Zugzwang. Es vermischt sich, bildet neue Sonnensysteme und schwarze Löcher, die sich gegenseitig auffressen und zerstören. Es droht zu implodieren. Nichts ist mehr da. Und am Sonntag sollte die Beerdigung von Familie Müller und Becker sein.
Der Autor versichert, dass alle seine Texte von ihm selbst verfasst wurden. Alle Rechte seines geistigen Eigentums unterliege dem Autor Patrick Klapetz.
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